Schon zu Beginn der Corona Pandemie wurden Pflegekräfte von Politik und Gesellschaft als Helden gefeiert, die in vorderster Front gegen das Virus kämpfen, es wurde auf Balkonen Beifall geklatscht und von allen Seiten gab es großes Lob und Versprechen zur Verbesserung der teils prekären Arbeitssituationen und der schlechten Bezahlung. Zum Positiven geändert hat sich seitdem wenig bis nichts.
Keine Rücksicht auf Privatleben, Arbeitsschutz außer Kraft gesetzt
Nur wenige Branchen werden von der Corona Pandemie so hart getroffen wie die Pflege. Hier ist das Infektionsrisiko besonders hoch, das Humboldt-Klinikum in Berlin musste vor einigen Wochen sogar komplett in Quarantäne gehen. Den ca. 1.700 Beschäftigten wurde eine sog. „Pendelquarantäne“ auferlegt, was bedeutet, dass sie sich nur zwischen ihrem Wohnort und Arbeitsplatz bewegen durften – ein Einkauf auf dem Weg war jedoch z. B. nicht erlaubt. Vorfälle wie dieser schüren den Unmut in der Branche, der nicht erst seit Corona besteht.
Der Grund für den Frust liegt nicht einmal vornehmlich in der vielerorts schlechten Bezahlung, die oft in keiner Relation zum Arbeitsaufwand steht. Die wenigsten Pflegekräfte wählen ihren Beruf des Geldes wegen, sondern weil sie anderen Menschen helfen möchten.
Vor allem sind es die nicht eingehaltenen Versprechen der Politik gegenüber der Pflegebranche, allem voran ein besserer Arbeitsschutz, die die Unzufriedenheit bei den Beschäftigten erhöhen.
Schon vor Corona gab es in der Pflege überdurchschnittlich viele Arbeitsunfähigkeits-Diagnosen, Erwerbsverminderungen oder frühzeitige Verrentung.
Trotzdem sind bestehende Arbeitsschutzgesetze in der Pandemie sogar außer Kraft gesetzt worden, um noch längere Arbeitszeiten möglich zu machen, zudem wurde keine Rücksicht auf Pflegekräfte genommen, die an Vorerkrankungen leiden und somit besonders darauf achten müssten, eine Corona-Infektion zu vermeiden. Auch das Familienleben wurde bei der Erstellung von Dienstplänen außen vor gelassen. Das Fachportal „pflegen-online.de“ berichtet sogar von einigen Fällen, in denen Pflegekräfte trotz positivem Corona-Test weiterhin zur Arbeit erscheinen mussten, weil es nicht genug Personal gab.
Die Kündigungswelle wird erst nach dem Ende der Pandemie erwartet
Corona hat in der ohnehin schon überlasteten Pflegebranche wie ein Brandbeschleuniger gewirkt. Dennoch gehen Experten davon aus, dass eine mögliche Kündigungswelle wahrscheinlich erst nach dem Ende der Pandemie erfolgen wird. Die meisten, die in der Branche arbeiten sind Idealisten, die es nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren könnten, ihre Patienten in einer solchen Ausnahmesituation im Stich zu lassen.
Zunächst gab es noch die Hoffnung, dass die große Aufmerksamkeit, die der Pflegebranche kurz nach dem Auftreten des Corona-Virus zuteilwurde dazu beiträgt, die Arbeitsbedingungen zu verbessern oder zumindest bessere Perspektiven zu schaffen.
Pandemie und Lockdown sind mittlerweile allerdings für fast alle zum Alltag geworden und somit ist auch die Pflege weitgehend aus dem Fokus der Öffentlichkeit verschwunden. Die Arbeitsbelastung in der Branche ist allerdings noch genauso hoch wie zu Beginn der Pandemie, teilweise sogar höher.
Auch die versprochene Pflegeprämie (in Höhe von 1.500 Euro für Altenpfleger und 1.000 Euro für Krankenhauspfleger) ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein, zumal längst nicht alle Pflegekräfte anspruchsberechtigt waren. Auch die Auszahlung wurde aufgrund von Streitigkeiten über die Finanzierung zwischen Arbeitgebern, Pflegekassen und Ländern über Wochen hingezogen.
Pflegefachkräfte werden in Zukunft noch gefragter sein
Im Widerspruch zur aktuellen Situation steht, dass Pflegekräfte nicht nur jetzt schon händeringend gesucht werden (in der Altenpflege dauert es z. B. im Durchschnitt ein halbes Jahr, um eine Stelle neu zu besetzen), sondern der Bedarf in Zukunft noch weiter steigen wird. Vor allem in der Altenpflege werden aufgrund des demographischen Wandels in Zukunft noch viel mehr Fachkräfte benötigt als heute.
Die aktuellen Zustände sollten von uns allen ernst genommen werden: auch wenn man momentan wenig Berührungspunkte mit der Branche und ihren Problemen hat, kann sich dies von einem auf den anderen Tag ändern.
Niemand weiß, ob oder wann er oder Angehörige auf Pflegefachkräfte angewiesen sein könnten. Schlechte Arbeitsbedingungen bei Beschäftigten wirken sich zwangsläufig auch auf die Qualität der Pflege und somit direkt auf die Pflegebedürftigen aus.
Allein deshalb muss es im gesamtgesellschaftlichen Interesse liegen, den Beruf des Alten- oder Krankenpflegers arbeitstechnisch und finanziell attraktiver zu machen, damit sich junge Menschen in Zukunft noch für eine Ausbildung in diesem Bereich entscheiden. Hier ist vor allem politischer Wille gefragt und es bleibt zu hoffen, dass die Verantwortlichen die Signale rechtzeitig erkennen und gegensteuern.
Unser Buchtipp zum Thema liefert einige Denkanstöße und Lösungsvorschläge zur aktuellen Situation: "Personalfluktuation in der Pflegebranche: Die kleine Fiebel"