Fast jeder kennt es: wenn ein Mensch, der uns nahesteht unter Stress leidet, fühlen wir uns auch gestresst. Dass es sich hierbei nicht nur um ein Gefühl, sondern eine körperliche Reaktion handelt, hat nun ein Team aus Psychologen von der Universität Wien und der Justus-Liebig-Universität in Gießen in einer experimentellen Studie herausgefunden.
Das „Wir-Gefühl“ spielt die entscheidende Rolle
Damit sich Stress messbar von einer Person auf die andere übertragen kann, ist es von großer Bedeutung, dass zwischen den betreffenden Personen ein Gefühl der Zusammengehörigkeit und Gemeinschaft herrscht. In der besagten Studie wurden die Teilnehmer dafür in Kleingruppen von jeweils vier oder fünf Personen aufgeteilt.
Bei der einen Hälfte der Gruppen wurde dafür gesorgt, dass ein „Wir-Gefühl“ entsteht, indem man sie gemeinsam an einen Tisch setzte und fortan nur noch als Gruppe ansprach – sie sollten sich zunächst überlegen, was sie als Gruppe verbindet und welche Gemeinsamkeiten sie mit den anderen Teilnehmern haben.
In der anderen Gruppe war dies nicht der Fall: hier saßen die Teilnehmer an Einzeltischen und wurden ausschließlich als Individuen angesprochen. Ihre Aufgabe war es, darüber nachzudenken, was sie als Einzelpersonen ausmacht und was sie von den anderen Teilnehmern aus ihrer Gruppe unterscheidet.
Im zweiten Teil der Studie wurde aus jeder Kleingruppe jeweils eine Person ausgelost, die auf sich allein gestellt eine unangenehme Aufgabe bewältigen musste – dabei handelte es sich um ein fiktives Bewerbungsgespräch mit jeweils zwei sehr strengen Interview-Partnern, in dem sie darlegen sollten, weshalb sie für einen bestimmten Job am besten geeignet sind.
Im Anschluss mussten sie schwierige Kopfrechenaufgaben lösen. Die anderen Teilnehmer der Studie waren die ganze Zeit anwesend und beobachteten die Situation.
Stresshormone sind bei Gruppe mit „Wir-Gefühl“ deutlich nachweisbar
Während die Einzelperson die schwierigen Aufgabenstellungen lösen musste, wurden bei allen anderen Anwesenden regelmäßig Speichelproben abgenommen, die im Anschluss auf das Stresshormon Cortisol untersucht wurden.
Als die Ergebnisse vorlagen, wurde deutlich, dass bei den Versuchsteilnehmern, die den Gruppen mit dem vorher erzeugten Gemeinschaftsgefühl angehörten, ein deutlich erhöhter Cortisol-Wert festzustellen war, während bei den isolierten Personen kaum Stress nachweisbar war.
Wenn die Personen in der Beobachter-Rolle Cortisol ausschütten, obwohl sie gar nicht unmittelbar Stress ausgesetzt wurden, lässt sich dadurch ableiten, dass sie mit Stress „angesteckt“ wurden – zumindest, wenn man nach den Ergebnissen dieser Studie geht.
Dazu genügte es lediglich, ein Gemeinschaftsgefühl zwischen Personen hervorzurufen, die sich zuvor noch nie begegnet waren und es ist anzunehmen, dass dieser Effekt bei Personen, die eine starke emotionale Bindung zueinander haben – z. B. Paare oder Familienmitglieder – noch um ein vielfaches stärker wirkt.
Schon vorher gab es Vermutungen, dass Stress sich von einer auf die andere Person übertragen kann – die neue Studie der Universitäten Wien und Gießen hat nun gezeigt, dass dieser Stress wohl auch tatsächlich messbar ist – um wirklich valide und repräsentative Ergebnisse zu bekommen, müssen jedoch noch Studien mit einer größeren Anzahl von Versuchsteilnehmern durchgeführt werden. Was diese Erkenntnisse im Detail für die Stressforschung bedeuten können, bleibt abzuwarten und ist von weiteren Studien abhängig.
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