Die Osteopathie ist eine manuelle Therapieform. Die Bezeichnung besteht aus den griechischen Worten „osteon“ für Knochen und „pathos“ für Leiden. Der Begriff ist aber auch mit dem Irrtum verbunden, dass ausschließlich der Bewegungsapparat Gegenstand der Behandlung sei. Das Potential der Osteopathie geht allerdings weit über das Skelett und seine Funktionsweise hinaus.
Osteopathie: Die medizinische Behandlung auf individueller Basis
Die Osteopathie versteht sich als eine ganzheitliche Therapie, die den Ursachen der Beschwerden mit Hilfe einer manuellen Diagnose und Behandlung nachgeht.
Der Organismus besteht aus einer Vielzahl von Strukturen, die auf vielfältige Art miteinander in Verbindung stehen. Jede dieser Strukturen ist von dünnen Bindegewebshüllen, den sogenannten Faszien, umgeben. In der etablierten Medizin finden diese Gewebe kaum Beachtung, für den Osteopathen sind die Gewebshüllen jedoch von eminenter Bedeutung, denn sie verbinden sogar Strukturen des Organismus, die nicht funktional organisiert sind. Mit den Faszien erklärt die Osteopathie, dass Beschwerden häufig an einer anderen Stelle auftreten als am ursächlichen Ort der Erkrankung.
Die osteopathische Behandlung richtet sich vornehmlich an der persönlichen Konstitution des Patienten aus. Anders als die traditionelle Medizin steht das Individuum im Mittelpunkt der Therapie. Der Osteopath nimmt deshalb auch ungewöhnliche Symptome in sein Konzept mit auf, ohne die Grundbefindlichkeit des Behandelten außer Acht zu lassen.
Allerdings erfolgt die Behandlung bei den weitaus meisten Therapeuten nach einer klaren Form, der Ablauf ist bei jeder Behandlung derselbe. Nach der eingehenden Anamnese folgt die eigentliche Therapie, ergänzt durch zusätzliche Anwendungen und Techniken. Die Qualität der Therapie lässt sich anhand etablierter Kriterien feststellen.
Der Ablauf einer Osteopathie-Behandlung
Weil der Osteopath das Krankheitsbild in jedem Fall als eine individuelle Erscheinung versteht, behandelt er jeden Patienten als einzigartig. Im Vordergrund steht also das Gespräch sowie die individuelle Befindlichkeit des Behandelten. Die Untersuchung erforscht Besonderheiten der körperlichen Konstitution und führt zu Befunden, die von der Schulmedizin nicht erbracht werden können.
Die Vorgeschichte oder Anamnese des Patienten
Der Osteopath klärt zunächst in einem vertraulichen Gespräch, wann die beklagten Symptome erstmalig in Erscheinung getreten sind. Der Patient gibt Auskunft darüber, in welchen Situationen seine Beschwerden entstehen. Liegt eine Schmerzentwicklung vor, ist dies ebenfalls Teil der Anamnese.
Begleiterkrankungen oder weitere Symptome, soweit sie bemerkt wurden, führen weiter in die Beschreibung der Gesamtkonstitution. Der Osteopath erforscht umfassend die gesundheitliche Situation seines Gegenübers. Ziel ist es, auch unbedeutende Veränderungen in seinem Alltag mit dem Krankheitsbild in einen Zusammenhang zu bringen.
Der Osteopath deckt Kausalzusammenhänge auf, indem er auch bereits bekannte Diagnosen in einen zeitlichen oder ursächlichen Zusammenhang mit dem aktuellen Zustand seines Patienten bringt.
Weiterhin ist der Therapeut an erlittenen Unfällen interessiert. Auch wenn die Vorfälle weit zurückliegen und als vollständig austherapiert gelten, ergeben sich oft Einflüsse - etwa von Narbengewebe - auf die Befindlichkeit. Die Einnahme von Medikamenten hat oft einen vielfältigen Einfluss auf den Organismus, der weit über das Therapieziel des behandelnden Arztes hinausgeht.
Soziale Bedingungen von Erkrankungen
Das soziale Umfeld ist ein wesentlicher Faktor für die Gesundheit. In einer problematischen Umgebung ergeben sich vielfältige Dysfunktionen, die bei einer Behandlung von Bedeutung sein können. Auch der Beruf spielt eine Rolle, besonders die Frage, ob die Tätigkeit selbst gewählt oder aus Notwendigkeit aufgenommen wurde. Konflikte am Arbeitsplatz haben ebenfalls oft Auswirkungen auf den Organismus.
Dies alles ist keine persönliche Neugier des Mediziners, sondern erfolgt ausschließlich aus medizinischem Anlass. Der Therapeut stuft ein, wie belastend oder fördernd das Umfeld des Patienten ist. Zusätzlich versucht er, Ansätze für eine Veränderung der Situation zu finden. Denn die Krankheit, die den Patienten zur Behandlung geführt hat, kann durch andere Verhaltensmuster und ein geändertes Umfeld ihre Grundlage verlieren.
Der Patient wird den Therapeuten unterstützen, indem er bei der Erstbehandlung mit allen Befunden erscheint, die ihm zugänglich sind. Andere Ärzte haben ggf. bereits Diagnosen erstellt und Therapien eingeleitet, die in die Behandlung einfließen können. Damit werden weitere zeitaufwändige und unter Umständen kostenintensive Untersuchungen vermieden, und der Osteopath erhält ein zusätzlich fundiertes Bild des Allgemeinzustands.
Die Untersuchung
Im Anschluss an das Gespräch beginnt die Behandlung. Der Osteopath beobachtet zunächst das Bewegungsmuster des Erkrankten und schätzt ein, ob sich der Körper flüssig bewegt. Bisweilen sind Ausgleichsbewegungen bereits in das Verhalten eingeflossen. Balanceübungen geben Auskunft über die Koordination, die dem Alter entsprechend und mit Rücksicht auf die aktuellen Beschwerden bewertet wird.
Der Osteopath gewinnt einen Eindruck von der Körperhaltung des Patienten und beurteilt den Gang im Behandlungsraum. Der Erkrankte kann sich symmetrisch und in Harmonie bewegen oder zu unkoordinierten Mustern neigen. Besondere Aufmerksamkeit kommt der Schmerzregion zu und wie sich diese in Relation zum Gesamtorganismus verhält. Durch Berührungen an verschiedenen Punkten des Körpers lässt sich feststellen, wie es mit der Erwärmung einer bestimmten Region bestellt ist oder welche Spannung das betreffende Bindegewebe aufweist.
Schließlich untersucht der Osteopath Gelenke, Muskeln und Organe durch Bewegung, Klopfen oder ähnliche Maßnahmen, die auch von der Untersuchung beim Allgemeinarzt bekannt sind. Die so gewonnenen Erkenntnisse bringt der Therapeut in einen Zusammenhang mit dem Vorgespräch. Aufgrund der Anamnese und der Untersuchung erstellt er seine Diagnose im medizinischen und im osteopathischen Sinn.
Die osteopathische Behandlung
Zunächst legt der Behandler fest, welchen Funktionsstörungen oder Körperregionen er sich zuerst zuwendet. Das Gewebe des Erkrankten und seine aktuelle seelische und körperliche Verfassung geben ihm die Orientierung für sein Vorgehen.
Jede Behandlung erfolgt individuell und ist auf den momentanen Zustand abgestimmt. Schematische Behandlungen sind von einem Osteopathen nicht zu erwarten, jede Diagnose und jeder Betroffene erhält ein speziell angepasstes Konzept für die Genesung.
Die Behandlung erfolgt ausschließlich manuell. Der Osteopath heilt nur mit Hilfe seiner Hände. Drei größere Behandlungsbereiche der Osteopathie sind bekannt.
Das parietale System: Belastungen ausgleichen
Dieser Bereich der Therapie beschränkt sich auf die Gelenke, die Extremitäten und die Wirbelsäule. Techniken sind die Manipulation und Muskelenergietechniken (MET). Außerdem werden die Faszien behandelt, und zwar mit den Methoden Myofaszial, Functional oder Counterstrain.
Im Zentrum dieser Methode steht die Umhüllung von Muskeln, Organen und des Zentralnervensystems mit Faszien, die ihrerseits untereinander in Verbindung stehen. Der Therapeut übt einen weichen Druck oder Zug auf dieses Bindegewebe aus, um die Gewebespannung zu normalisieren. Diese auch myofaszial genannten Techniken verbessern die Durchblutung aller behandelten Gewebe und fördert ihre Beweglichkeit.
Die Counterstrain-Technik behandelt bestimmte Punkte der Muskulatur und der Sehnen. Etwa 200 „Tenderpoints“ entspannt der Osteopath mit Hilfe spezieller Lagerungstechniken. William L. Johnston etablierte funktionelle Methoden, die ihre Wirkung über Reflexe des Rückenmarks und des zentralen Nervensystems entfalten. Der Therapeut bewegt die belastete Körperregion in eine Position, die im Zusammenhang mit der Atmung leicht auffindbar ist. Belastungen und Funktionsstörungen der gesamten Wirbelsäule, der Gelenke in den Extremitäten und der Rippen werden so gelöst.
Die Behandlung der inneren Organe: Die viszerale Osteopathie
Als viszeral bezeichnet die Medizin den gesamten Bauch- und Brustraum mit den hier vorhandenen Organen. Auch hier erfolgt die osteopathische Behandlung mit den Händen. Die viszerale Osteopathie erkennt Spannungsveränderungen auch hier durch Ertasten und behandelt ihre Eigendynamik jeweils einzeln oder im Organverbund. Durch Bänder und Faszien sind die Organe befestigt und auch beweglich. Verspannungen der Faszien beeinträchtigen ihre Beweglichkeit, als Folge entstehen Funktionsstörungen.
Über Reflexe können aber auch Störungen am gesamten Skelettsystem auftreten. Mit viszeralen Techniken löst der Behandelnde Verspannungen, die an den Bändern entstanden sind. Man vermutet, dass auch die Durchblutung sowie die lymphatische Drainage eine Besserung erfahren, was auch die Physiologie sowie das optimale Funktionieren der Organe unterstützt.
Das craniosacrale System
Der Schädel, die Hirnhäute und das Kreuzbein bilden einschließlich der zugehörigen Nerven das craniosacrale System. Die Schädelknochen verknöchern nicht vollständig, deshalb sind sie in ihrer Position nicht eindeutig fixiert. Etwa acht bis zwölf Mal in der Minute bewegen sie sich im craniosacralen Rhythmus. Ursache ist nach Auffassung der Osteopathie die Bewegung des Gehirnwassers, auch Liquor genannt.
Das Pulsieren erfasst das Hohlraumsystem im Kopf, den gesamten Rückenmarks-Kanal und reicht bis hinunter ins Steißbein. Nach neueren Erkenntnissen befindet sich der „Taktgeber“ als ein retikulärer (dt. netzartiger) Rhythmus im Hirnstamm. Für den Osteopathen bedeutsam ist die Beweglichkeit aller Schädelknochen sowie des Kreuz- und des Steißbeins. Unter Umständen normalisiert er die gelenkartigen Verbindungselemente oder er löst Verspannungen, die in den Schädelmembranen entstanden sind und verbessert so die Blutversorgung im Schädel.
Die Dauer der Behandlung
Zentrales Anliegen der osteopathischen Therapie ist die Aktivierung der körpereigenen Selbstheilungskräfte. Ständig ist der Organismus Angriffen von Viren und Bakterien ausgesetzt. Kleinere Verletzungen der Haut und der Gefäße werden repariert, Giftstoffe ausgeschieden. In der Regel funktionieren diese Normalisierungen problemlos und mit den manuellen Techniken stellt sie der Therapeut im Krankheitsfall wieder her.
Viele Beschwerden beruhen auf Störungen der internen Zirkulation. Wenn die Einschränkungen gelöst sind, kann die körpereigene Regeneration wieder normal funktionieren.
In aller Regel dauert eine Behandlungseinheit 20 bis 30 Minuten. Auf die Erstbehandlung folgt die individuelle Ausrichtung. Der Patient kann sich nach drei Folgebehandlungen meist wieder gut stabilisieren, die jeweils in einem Abstand von einer bis zu drei Wochen stattfinden. In besonderen Fällen können sechs, manchmal auch acht Termine sinnvoll sein. Wird das Behandlungsziel nicht erreicht, sollte der Therapeut seine Indikation überprüfen.
Nach drei oder vier Monaten findet eine erste Nachuntersuchung statt. Dem Krankheitsbild entsprechend erfolgen erneute Kontrollen nach weiteren vier oder sechs Monaten. Chronische Erkrankungen rechtfertigen Abweichungen vom Behandlungszyklus, wenn eine gesicherte Diagnose ihre Notwendigkeit nahelegt.
Behandlungskriterien in der Osteopathie
Ob der Osteopath die Methode versteht und sinnvoll anwendet, ist durchaus auch für den Patienten überprüfbar. Zunächst wird er bemerken, ob er sich bei der Behandlung wohlfühlt. Darüber hinaus gibt es einige Kriterien, die der Therapeut erfüllen sollte.
Das Gespräch zur Anamnese ist ausführlich, der Osteopath fragt nach Ereignissen in der Vergangenheit und bezieht aktuelle Befunde in seine Untersuchung ein. Das Beurteilen des aktuellen Zustands ist äußerst bedeutsam, Haltung und Beweglichkeit sind zu analysieren. Durch Ertasten prüft er die Gewebestruktur und erkennt weitere Ursachen für die Symptomatik.
Die Behandlung wird schriftlich festgehalten. Hier ist aber von individuellen Unterschieden je nach der notwendigen Behandlung auszugehen. Oft reichen Stichpunkte, detaillierte Aufzeichnen geben aber genauer Auskunft über den Ablauf der Therapie. Die Dokumentation kann digital oder analog erfolgen, wichtig ist die Substanz der Aufzeichnungen.
Heilversprechen sind nicht seriös. Die Entscheidung über die Anzahl der Sitzungen erfolgt nicht im Voraus, sondern erst nach Abschluss der ersten Behandlungen. Der Osteopath informiert frühzeitig über die rechtlichen Aspekte seiner Methode in Deutschland.
Die Ausbildung dauert fünf Jahre und umfasst 1. 350 Unterrichtseinheiten, was der qualifizierte Osteopath auf Nachfrage gerne bestätigt. Der Bundesverband Osteopathie bietet im Internet eine Liste an, in der Osteopathen aufgeführt sind, die nach den hohen Qualitätsstandards des Verbandes arbeiten.
Wer sich gerne selbst mit einigen grundlegenden Techniken der Osteopathie vertraut machen möchte, kann mit diesem Buch starten: "Osteopathie für zu Hause: Beschwerden und Schmerzen in Nacken, Rücken und Gelenken effektiv selbst behandeln" von Dr. Torsten Pfizer.